Ich habe vorhin gesagt, daß in der vorkantischen Zeit die Wesensbestimmung des Bildes nicht mehr derartig umfassend vorgenommen worden sei wie zur Zeit des Bildersturms im 8. Jahrhundert. Das gilt auch insofern, als zwar im Universalienstreit noch einmal das Verhältnis von Begriff und Wirklichkeit erörtert wurde, aber eben nicht bezogen auf den Gebrauch der Bildsprache, sondern den der Wortsprache. Grob gesagt, die Frage, ob die Universalia, die allgemeinen Begriffe, einen eigenen Wirklichkeitsanspruch hätten oder nicht, entspricht der Frage nach dem Wirklichkeitsanspruch des Bildes. Auch im Hinblick auf die Auswirkung des Universalienstreits ist eine Parallele deutlich: wenn aus der tatsächlichen Existenz des Wortes Vollkommenheit das Dasein Gottes bewiesen werden kann, weil Gott das Vollkommene sei, dann entspricht das der ikonoklastischen Auffassung, daß mit der Wirklichkeit des Bildes Christi auch die göttliche Natur Christi real werde.
Der Nominalismus argumentiert parallel zu den Ikonodulen, daß den Begriffen nur stellvertretende Realität des Zeichens für das Bezeichnete zukomme, daß sie nur formal-technische, willkürliche Erfindungen und Verstandesschöpfungen seien. Und schließlich hat der doctor invincibilis Wilhelm von OCCAM wie LEO I. und KONSTANTIN V. argumentiert, das Allgemeine existiere zwar nur im denkenden Geist, aber der sei tatsächlich wirklich. Zwar lasse sich Gott keine Gesetze vorschreiben und damit gebe es auch keine einmalige Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem, von Bild und Abgebildetem, aber dennoch könnten wir mit den Begriffen die Wirklichkeit erkennen, insofern als auch wir selber und unser begriffeschaffender Verstand Bestandteil der Welt Gottes sind. Der Mensch selber ist eine Einheit von Zeichen und Bezeichnetem. In dieser Schlußfolgerung erkennt man mühelos die Analogien zu der Auffassung LEO I., Christus sei zwar nur eine Person, habe aber zwei Naturen, und der Auffassung KONSTANTIN V., derzufolge Abbild und Abgebildetes zwei Wirklichkeitsebenen des einen Bildes seien.